Die Gamshegeringe – Verlorenes wieder zurückholen
1. Oktober 2025
Aus unserer aktuellen Jägerzeitung: Wildbiologe Josef Wieser über die Entstehung der Südtiroler Hegeringe
In unserem Archiv bin ich letzthin auf einen älteren, aber sehr interessanten Artikel aus dem „Anblick“ von 1997 gestoßen. Neben Einblicken in die Entstehung und den Niedergang vieler Gamshegeringe liefert er auch eine Prognose für die damalige Zukunft, also in die heutige Gegenwart. Grund genug, diesen Artikel aufzuarbeiten und die Prognosen zu überprüfen.
Entstehung der Hegeringe
Nach den Wirren des 2. Weltkrieges waren die Gamsbestände Südtirols vielerorts am Boden. Die Gründe hierfür waren vielfältig, die blanke Not dürfte aber einiges dazu beigetragen haben. Mit dem Wiedererstarken der Gamsbestände beschloss der Südtiroler Jagdverband im Jahr 1970 die Schaffung von Gamshegeringen und betraute den Forstrat Dr. Karl Obwegs mit der Koordination. Die damaligen Kriterien für die Abgrenzung und Bewirtschaftung der Hegeringe sind auch aus heutiger Sicht sehr gut. Die Grenzen wurden nach Gebirgsstöcken und Lebensräumen gezogen, alle 5 Jahre überprüft und wo notwendig angepasst. Das Hegeziel war der Aufbau eines gesunden, zahlenmäßig möglichst genau erfassten und dem Lebensraum angepassten Gamsbestandes. Folglich waren die jährlichen Zählungen von großer Wichtigkeit. Sie erfolgten nach gemeinsam festgesetzten Vorgaben und wurden revierübergreifend, zeitgleich für den jeweiligen Hegering jedes Jahr durchgeführt. Dabei wurde besonderer Wert darauf gelegt, dass ein Jäger immer mit einem Jäger aus dem Nachbarrevier gemeinsam einen Zählposten besetzte. Der Vorschlag für den Abschussplan wurde gemeinsam auf Basis der Zählung beantragt. Für jeden Hegering wurde ein Hegeringleiter ernannt, der vieles koordinierte. Alsbald setzte die Hochblüte der Südtiroler Hegeringe ein, im Osten des Landes entstanden 25 Hegeringe und im Westen fünf relativ große. Die großen Hegeringe im Westen hatten aber nur wenige Jahre Bestand.
Wendepunkt Gamsräude
Mit dem Aufflammen der Gamsräude und dem Einbruch vieler Gamsbestände begann es in den Hegeringen zu kriseln. Es trat eine Art Ermüdung ein, alles sei zu „aufwendig und kompliziert“. Die Folge war, dass die Hegeringe einschliefen. Sie blieben zwar teilweise auf dem Papier bestehen, aber die Absprachen zwischen den Revieren wurden deutlich weniger und das „an der Grenze schießen“ nahm zu. Ab 1989 gab es gar keine Sitzungen der zuständigen Hegeringleiter mehr. In der Folge verloren die Hegeringe an Bedeutung.
Den letzten Absatz im Artikel des Anblicks möchte ich wortwörtlich zitieren: „Weh tun sollte der Niedergang der Gamshegeringe eigentlich allen Südtiroler Jägern, denn mit dem Ende der großräumig koordinierten Gamswildbewirtschaftung ist eine naturnahe, strukturgerechte Bejagung mit dem Heranwachsen von reifen Trophäenträgern nur mehr sehr eingeschränkt möglich. Einen reifen Bock stehenzulassen, bis er seinen Höhepunkt überschritten hat und zu altern beginnt, ist praktisch nur bei gemeinsamer Bejagung möglich, denn bei kleinflächiger Bejagung könnte ihn ja sonst der Nachbar erlegen.“
Viele Probleme, die seit Jahren hitzig diskutiert werden und spätestens bei den Abschussplanungen immer wieder aufflammen, ließen sich durch eine gemeinsame und großräumige Bewirtschaftung des Gamswildes lösen.
Hegeringe heute
Wenn wir mit diesem Absatz im Hinterkopf den Bogen ins hier und jetzt spannen, stimmt dies gelinde gesagt nachdenklich. Viele Probleme, die seit Jahren hitzig diskutiert werden und spätestens bei den Abschussplanungen immer wieder aufflammen („es fehlen alte Stücke“, „wir würden den Gamsen ja die Zeit geben, aber der Nachbar…“, usw.), ließen sich durch eine gemeinsame und großräumige Bewirtschaftung des Gamswildes lösen. Die Möglichkeiten dazu hätten wir, wir müssen es nur wollen. Das Gamswild hätte es sich jedenfalls verdient und würde es uns danken. Höchste Zeit, die Gamshegeringe aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken.
Josef Wieser
Der Beitrag stammt aus der Jägerzeitung Nummer 3/2025. Die gesamte Ausgabe finden Sie zum Download hier: jagdverband.it/jaegerzeitung



